Karlauer Straße 46

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47° 3' 36.14" N, 15° 25' 50.09" E


Ehemalige Lederstampfe und Fahrradfabrik von Johann Puch

Zweigeschossiges Wohnhaus über rechteckigem Grundriß, vierachsig. Im Kern 17. Jh. Schon 1701 wird hier des "Lederzurichters Stampf bei der Steinen Brück", 1709 und 1721 Franz Decenti (Discendo; nach Stöckl: 1670, Franz Decenta), "fürstlicher Lederzurichter" genannt. Im Bürgerbuch der Stadt Graz ist ein Franz Domenico Decente, Handelsmann aus Retz verzeichnet, der erst 1761 den Bürgereid leistet. Der Begriff "Stampfe" kommt vom stampfen oder walken, wodurch die Gerber die Häute von der Oberhaut befreiten, so dass sie weich und schmiegsam gemacht wurden.

1815 erfolgte ein Umbau des Gebäudes, das unter der Hausmadonna befindliche Rundbogenportal wurde vermauert und der Hauseingang an die Südseite verlegt. Der damalige Besitzer, der Lederer Josef Höck, stammte aus Iglau und hatte 1793 in Graz den Bürgereid abgelegt; ein Franz Höck, vermutlich der Bruder von Josef, erhielt das Bürgerrecht 1809 und besaß Leder-Werkstätten am Lendkai (bei der heutigen Stigergassse) und in der Wiener Straße 63. Das Bauparzellen-Protokoll zum Franziszeischen Kataster von 1829 nennt für die Nrn. 36 (Wohngebäude Nr. 1036) und 37 (Wohn- und Wirthschaftsgebäude 1037) als Besitzer schon den Lederer Johann Manker; 1838 - 1872 wird in den Adreßbüchern in der Karlauer Straße die Lederfabrik Manker genannt.

Nachdem Johann Puch sein Betrieb in der Strauchergasse zu klein geworden war, mietete er sich hier ein und betrieb von 1891 - 1896 seine Fahrradfabrik, die dann ab 1900 als Styria-Dürrkopp-Fahrradwerke auf das Areal zwischen Köstenbaumgasse 17 (Köstenbaum-Mühle) und Karlauer Straße wechselte. Nachdem sich Puch aus der Firma zurückgezogen hatte, diente das Haus Nr. 46 dem Direktor der Dürrkopp-Fabrik als Wohnung.

Das Korbbogen-Eingangsportal des Wohnhauses ist aus Marmor vom Steinberg bei Graz, der Keilstein mit den Initialen "JH" (J. Höck) mit Gerberfass, gekreuzten Walkstäben und Lorbeerzweigen, der Kämpfer mit der Inschrift "18" (links) bzw. "15" (rechts).

Straßenseitig ist in der Fassadenmitte eine kleine halbrunde Nische in zart profilierter Umrahmung mit Keilstein um 1800. Die Sandsteinfigur einer Maria Immaculata, MARX PuchSCHOKOTNIGG zugeschrieben, um 1710 - 1715, ist inzwischen leider verschwunden.

Ein Mitglied der Familie Kuss, die 1936 - 2002 im Besitz des Hauses war, und hier auch noch ein Fahrradgeschäft betrieb, schätzt dieses Objekt mit Kreuzgewölbekeller, Stuckdecken und massiven Ziegelwänden als besonders erhaltungswürdig ein. Schon im Vorraum teilweise holfvertäfelten Vorraum zeigt sich ein prächtiges Stichkappengewölbe. Ein Album aus dem Jahre 1938 zeigt noch die Aufschrift "Kuss. Fahrräder und Ersatzteile. Zubehör, Pneumatik, Lichtanlagen, Reparaturen".

Hinter dem Haus (mit den Hausnummern Karlauer Straße 42a, 44) sind die ausgedehnten, teils dreigeschossigen ehemaligen Fabriksgebäude erhalten bzw. durch neue ergänzt. Ein Vergleich der Ansichten aus der Vogelschau von 1894 und 2022 zeigt, dass Puchs Hallen im Wesentlichen noch vorhanden sind!

P. Laukhardt (nach: Bürgerbuch 1819; Pirchegger, Häuserbuch 1927; Popelka, Stadtgeschichte 1936; Stöckl, Industrie 1953; ÖKT 1984; H. Kuß)

Ältere Ansichten

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Kommentare

Dieses baukünstlerisch bemerkenswerte und für die Industriegeschichte der Stadt Graz (Johann Puch) höchst bedeutsame Bauwerk steht - wie viele andere, siehe die traurigen Beispiele Josefigasse 73 und Am Damm 53 - nicht unter Denkmalschutz und liegt auch in keiner Altstadt-Schutzzone. Es wäre daher von besonderer Dringlichkeit, die Erhaltung des Ensembles durch eine Unterschutzstellung zu sichern und die derzeit durch Werbetexte verunstaltete Fassade frei zu machen.

Im Juni 2016 gemachte Fotos zeigen eine teilweise weiter abgeräumte Fassade, die Madonna ist verschwunden. Es scheint die Gefahr eines Abbruchs zu bestehen, weshalb das Landeskonservatorat verständigt wurde. Das Landeskonservatorat Steiermark teilte am 19.9.2016 leider mit, dass eine Besichtigung zu dem Ergebnis geführt habe, dass der Gebäudekomplex keine für eine Unterschutzstellung ausreichende geschichtliche, künstlerische oder sonstige kulturelle Bedeutung im Sinne des Denkmalschutzgesetzes aufweist. So wird also vermutlich wieder ein Stück Grazer Industriegeschichte vernichtet werden. Laukhardt (Diskussion) 18:40, 3. Okt. 2016 (CEST)

Im Frühjahr 2022 verdichten sich die Gerüchte, dass es zu einem Abbruch des bedeutenden Industrie-Denkmals kommen könnte; als Grund wird u. a. die geplante Tram-Linie angeführt. Nachdem sich für den 22. Juni 2022 sogar eine Theater-Aufführung als "Abschied" angesagt hat, haben wir die zuständigen Stellen der Stadt Graz um Aufklärung ersucht. In einem Leserbrief an den "Grazer", der unsere Mahnung am 12.6.2022 abgedruckt hat, schreibt Helmut Kuss: "Ich habe Ihren Beitrag über das Haus, das von 1936 - 2002 im Besitz unserer Familie war, gelesen. Der Inhalt stimmt mich traurig, denn meiner Meinung nach ist dieses Objekt mit Kreuzgewölbekeller, Stuckdecken, massiven Ziegelwänden usw. besonders erhaltungswürdig ...". Laukhardt (Diskussion) 12:57, 20. Jun. 2022 (CEST) Am 22.6.2022 richtet SOKO Altstadt noch ein flammenden Appell an den Landeskonservator, den Komplex unter Schutz zu stellen. Laukhardt (Diskussion) 10:29, 22. Jun. 2022 (CEST) Das Theater-Ensemble "Bum bum pieces" zeigte am selben Tag die angekündigte Abschieds-Vorstellung, in der die wechselvolle Geschichte des Hauses in vier Jahrhunderten gekonnt dargestellt wurde. Leider fiel der letzte Teil der Vorstellung "ins Wasser". Dennoch waren die Besucher beeindruckt und konnten nicht verstehen, warum ein derartig geschichtsträchtiges Haus sterben sollte. Ein kritischer Bericht in der Architektur-Plattform gat.st ließ kurz danach staunen. Über "Europan" hatte es einen Wettbewerb zur Gestaltung des Areals gegeben, die angekündigte Ausstellung der Ergebnisse fand aber fast ausschließlich hinter verschlossenen Türen statt, so dass die Öffentlichkeit davon nicht informiert war.Laukhardt (Diskussion) 16:48, 5. Jul. 2022 (CEST) Erst im Spätsommer 2022 wurde bekannt, dass es längst eine Abbruchbewilligung der Baubehörde gibt. Wie war das möglich, wenn es doch für das betroffenen Areal eine Verpflichtung zur Erstellung eines Bebauungsplanes gibt? Zuerst abreißen, dann planen? Eine Juristen der Baubehörde dazu: Es ist "ein Bebauungs(!)plan ausschließlich in jenen Fällen zu erstellen, in welchen es um eine Bebauung einer Fläche geht und nicht um einen Abbruch. Zweck eines Bebauungsplanes ist eine Entwicklung der Struktur und Gestaltung von Bauland. Der Bebauungsplan regelt die Art und Weise der möglichen Bebauung (!) von Grundstücken; er regelt also wie gebaut werden darf." Diese Meinung widerspricht wohl völlig der städteplanerischen Idee, denn Bebauungspläne dienen ja in der Regel der Weiterentwicklung bereits bestehender Bauareale.

Laukhardt (Diskussion) 13:50, 3. Jan. 2023 (CET)

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